Gefasel statt Training


 


Von Achim Achilles

Früher hiess es immer: Wer nach einem Lauf noch reden kann, hat nicht genug getan. Heute ist das anders: Dampfplauderer regieren die Welt. Dank moderner Kommunikationstechnologien findet sich irgendwo immer einer, mit dem man ordentlich palavern kann.

Läufer sind wie Sportangler. Sie verbringen nur wenige Stunden die Woche mit ihrem Hobby. Aber dann quatschen sie endlos darüber. Beim Alleinsein in der Natur denkt sich der Läufer gern Monologe aus. Und die vielen Endorphine drücken aufs Sprechzentrum. Jeder Unsinn muss raus. Früher gab es noch natürliche Bremsen. Den Partner zum Beispiel, der irgendwann ansatzlos zuschlug, nur um für einige Minuten mal nicht das Gefasel über Trainingskilometer, asymmetrischen Sohlenabrieb oder eingewachsene Zehennägel zu hören. Jetzt gibt es leider das Internet. Da erzählt jeder Athlet seine total persönliche Laufgeschichte, die immer biblische Ausmasse annimmt, auch wenn die Halbmarathon-Zeit knapp über vier Stunden liegt.

Das Läufer-Latein wäre nicht weiter schlimm, wenn es nicht Trottel wie mich gäbe, die sich den Krempel auch noch angucken. Wahrscheinlich, weil es eine Form gefühlten Trainings ist. Man zieht sich die Luftgepolsterten an, taillierten Schiesser-Ripp, die bequeme Jogginghose, dann ab vor den Rechner und mitgelesen bei www.laufen-aktuell.de. 300.000 Beiträge zu 16.000 Themen von 8400 Benutzern. Hinterher ist man ganz kaputt. Das ist feinstes Passivlaufen, garantiert gelenkschonend und tempotrainingsfrei.

Zwischen all den Smiley-Streuern und Volkslauf-Poeten ("Ich hatte solche Angst beim Start") ist u_d_o mein liebster Schwachstrom-Esoteriker. Sein Motto: "Höre nie auf, anzufangen und fange nie an, aufzuhören". u_d_o ist Soldat, Hundebesitzer und fühlt sich als Berufener, seit er einen Marathon mal knapp über drei Stunden gelaufen ist. u_d_o ist total gegen die "Neidgesellschaft" und beantwortet Fragen, die keiner gestellt hat. Seine Frau Ines kann toll malen und einfühlsam mit Filz arbeiten. Die beiden warten auf den Workshop "Harnverhalten bei Vollmond". Danach will u_d_o übers Wasser laufen.

Sie bewegen sich fort, wie es der Mensch seit Jahrmillionen nun einmal tut: Aber sie machen Religion daraus. "Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern zu erschaffen", predigt etwa Momo. Mag sein, aber wozu braucht man tanzende Sterne? Oder die Rothaarige unter dem beängstigend zutreffenden Nickname "Schnatterinchen" aus Kobbeln, das zwischen Treppeln und Möbiskruge liegt. Sie springt uns mit Reinhard Mey an: "Weisst Du, es zählt im Leben nur, dass Du, wie es auch mit Dir umspringt, vor Dir selbst gerade stehen kannst". Hätte von u_d_o sein können. Hemmungslos breitet Schnatterinchen auch den Rest ihres Läuferlebens aus. Höhepunkt: Isst gern "Fisch mit Pampe".

"Laufen aktuell" ist wie "GZSZ" gucken. Man fühlt sich wie zu Hause. Dafür sorgt unsere liebe Uschi aus Germering. Sie hat alle Bildchen von den Laufkameraden im Forum an eine virtuelle Korkwand gepinnt. Leider ist nicht alles sexy, was sich in kurze Hosen zwängt. Uschi hat bald 2000 Beiträge verfasst, was etwa ebenso viele verplapperte Trainingskilometer macht.

"Digga" ist lustig. Sein Wahlspruch heisst "Ein Corolla hat keine Panne", Besser ist noch "Sisu" mit "fit happens" und "relax, it's just mobbing". Sehr mutig auch unser Sportskamerad "Hajott". Warum nennt er sich nicht gleich "flinker Windhund" oder "zäher Stahl", mit dem Wahlspruch: Unsere Ehre heisst Wade. Saisonhöhepunkt: Im Stechschritt auf den Obersalzberg.

Anregungen für die sportgerechte Ernährung gibt's natürlich auch: "Greenhörnchen" schwört auf Nudeln mit Ketchup und Zimthörnchen. "Bucki" kontert: zwei Semmeln mit Nutella fingerdick. Ein Knüller ist das selbst angerührte Power-Gel. Letztendlich, lieber Tüftler, geht es aber doch weniger um den Inhalt als um die Verpackung, oder? Wie also willst Du das Schmierzeug transportieren? Tuppertopf mit Strohhalm? "Steiff" bevorzugt ehrliche "Schmutkartoffeln", satt mit Käse überbacken. Bei mir geht der Trend zu frittierten Snickers in Bierteig mit Schlagsahne. Am Ende hat "Feuerstein" Recht: "Vitamintablette, dauert nur zwei Sekunden". So bleibt mehr Zeit zum Unsinnverzapfen auf "Laufen aktuell".

Am gemeinsten sind die Einfühlsamen. Die suchen Anschluss und sondern zu jeder Allerweltsleistung ihren "Ey, total tolle Zeit, Du"-Schleim ab. Neulich traf der Verständnisterror die Novizin Arameah, die sich offenbar ins Forum verlaufen hatte. Die Gute schafft es tatsächlich, für zehn Kilometer 90 Minuten zu brauchen. Nun wollte sie wissen, wann sie denn den ersten Marathon laufen könne. Die Sportsfreunde gaben ihr viele liebe Tipps, auch mental. Aber keiner sagte ihr die Wahrheit: Vergiss es einfach, Herzi, das ist für dich nicht gesund.

ZUR PERSON

Achim Achilles ist einer von über zehn Millionen Freizeitsportlern in Deutschland. Er ist nicht mehr ganz jung, nicht mehr ganz schlank, nicht mehr ganz fit. Früher war er gut trainiert. Dann kam der Job, die Familie, der Rotwein. Jetzt fängt er wieder an zu laufen. Nicht weil er es mag, sondern weil er die Sticheleien seiner Frau Mona nicht länger erträgt. Das Gerede vom Spaß am Laufen macht Achim nicht mit. Laufen ist für ihn wie Zahnarzt, man kommt nicht drum herum. Sein Traum: der Ironman auf Hawaii. Leider ist der Weg dorthin beschwerlich. Von seinem Training spürt er nur mordsmäßigen Hunger. Achim lässt SPIEGEL ONLINE an seinen Läufen teilhaben. Er schreibt Tagebuch - jede Woche ein neues Kapitel.


Quelle
http://www.spiegel.de


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