Hunde, die bellen und beissen


Die Herdenschutzhunde machen einen guten Job – trotzdem sind sie unbeliebt

Den Herdenschutzhunden in der Surselva gelingt es fast immer, den Wolf von den Schafherden fernzuhalten. Ihre Herrchen und vor allem die Wanderer stehen ihnen dennoch skeptisch gegenüber.

von stefan bisculm

Der einzige Wolf, der noch in Graubünden lebt, durchstreift jetzt schon den vierten Sommer die Gegend um Brigels, Waltensburg und Pigniu. Sein Vorgänger, der Bergeller Wolf, wurde im August 2001 getötet, nachdem er über 100 Nutztiere gerissen oder verletzt hatte.
Damit dem Wolf in der Surselva nicht das gleiche Schicksal blüht, hatte der Plantahof in Landquart im Auftrag des Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) vor drei Jahren ein Herdenschutzprogramm mit Schutzhunden aufgezogen. Der Plantahof betreut heute als Herdenschutz-Kompetenzzentrum drei Herden in der Surselva (Brigels, Pigniu, Waltensburg). Das Programm geht im November zu Ende. Die vorläufige Bilanz fällt durchzogen aus. Zwar ging in den vergangenen Jahren die Zahl der Nutztiere, die vom Wolf gerissen wurden, jährlich zurück. Dennoch akzeptieren die Schafhalter den Schutzhund bestenfalls als notwendiges Übel.

Verzicht auf Schutzhunde

Julian Cathomas aus Brigels überlegt es sich, im nächsten Jahr sogar ganz auf die Dienste seiner Herdenschutzhunde zu verzichten. Dies obwohl der Wolf im Juli – bei seinem letzten Überfall auf eine Nutztierherde – vier seiner Schafe gerissen hatte. Seine Herde von 700 Tieren wurde zu diesem Zeitpunkt nur von einem Schutzhund bewacht.
Etwas weiter im Osten in der Nähe von Waltensburg lässt Martin Cathomas seine Tiere weiden. 2002 hatte ihm der Wolf 20 Schafe gerissen. Damals waren die Nutztiere auf der Weide noch ganz auf sich alleine gestellt, und kein Hirte und kein Schutzhund weilte bei ihnen. Heute ist das anders, und in diesem Jahr hatte er denn auch noch keinen einzigen Riss zu beklagen. «Ich kann auf die Herdenschutzhunde nicht verzichten, solange sich der Wolf in der Gegend rumtreibt», sagt Cadonau auf Anfrage. Allerdings sei der Mehrarbeitsaufwand für ihn als Schafhalter sehr gross. Vor allem die Winter, wenn die Hunde im Haus gehalten werden müssten, seien anstrengend.
Nutztierhalter in Gebieten mit Raubtierschäden erhalten vom Buwal jährlich 1000 Franken pro Herdenschutzhund. Dazu kommt ein Unterstützungsbeitrag für den Hirtenlohn und eine Entschädigung für jedes gerissene Nutztier, die je nach Alter und Tierart unterschiedlich hoch ausfällt.

Tödliches Spiel

Agnella Spescha aus Pigniu rechnet damit, dass ihre zwei ausgewachsenen Schutzhunde im Jahr Futter für je 1200 Franken verschlingen. Sie hält sich ein Pärchen der Rasse Abruzzese Maremmano, von denen das Männchen rund 70 Kilogramm und das Weibchen etwa 50 Kilogramm auf die Waage bringt. Dazu kommen noch drei Junge, die Spescha ziemliche Probleme bereiten. Denn die jungen Hunde jagen im Spieltrieb gerne die Geissen und Schafe. Eine Geiss hetzten sie so lange herum, bis sie tot umfiel.
Doch das sind nicht die einzigen Sorgen, die Agnella Spescha derzeit beschäftigen. Denn es war auf ihren Weiden, wo neulich ein deutscher Wanderer von einem Herdenhund gebissen wurde. Nachdem die «Südostschweiz» Ende August über diesen Vorfall berichtet hatte, meldeten sich seither mehrere Wanderer und Velofahrer, die Ähnliches mit Herdenschutzhunden erlebt hatten (siehe dazu auch Leserbriefe auf Seite 30). Der Vorfall mit dem deutschen Touristen sei ihr Fehler gewesen, gesteht Spescha. Wegen heftigen Regens musste ein Zaun, innerhalb dessen sich der Hund normalerweise aufhält, versetzt werden. Dadurch fand sich der Hund ausserhalb der Umzäunung wieder, war verwirrt und biss zu.
Wie Agnella Spescha sagt, reklamieren immer häufiger Leute wegen ihrer Hunde. Leute aus dem Dorf sind in dieser Angelegenheit schon beim Gemeindepräsidenten vorstellig geworden. Ihre Weiden befinden sich zudem in einer beliebten Wandergegend. Bei schönem Wetter wandern bis zu 500 Leute an der Herde vorbei, und viele von ihnen fühlen sich von den Hunden bedroht, wenn diese laut bellend dem Zaun entlanggehen. Allerdings, so Spescha, würden viele Ausflügler auch nicht den gebührenden Abstand zu der Herde einhalten und in einigen Fällen sogar die Zäune übersteigen. «Je weiter man sich vom Zaun fernhält, umso besser.»

Nordic Walker, aufgepasst!

Carlo Mengotti, Berater im Herdenschutz-Kompetenzzentrum am Plantahof, glaubt, dass sich Wanderer und Velofahrer mit den Jahren an die neue Situation gewöhnen werden und lernen, die Schafherden weitläufiger zu umlaufen. Dasselbe müsse auch für Herden mit Mutterkühen gelten. Wie Mengotti sagt, fühlen sich die Tiere besonders von Wanderern mit Stöcken provoziert.


Ist dies unsere touristische Zukunft?
Zum Leserbrief «Achtung, Herdenschutzhunde!» in der Ausgabe vom 5. September.
Im Leserbrief schildert ein Tourist einen Zwischenfall mit Schutzhunden. Dieser Vorfall ist nicht der einzige. Ein Mitglied meiner Familie wurde auf einer Tour zum Piz D'Err von drei wütenden Schutzhunden angefallen, die er nur mit dem Eispickel und seinen Füssen davon abhalten konnte, seine Beine zu malträtieren. Die entfernten Rufe eines Mannes, wohl eines Hirten, hatten keine Wirkung, die Bestien hörten nichts und reagierten in keiner Weise auf die Rufe. Der Hirte musste persönlich herbeieilen und die Tiere holen.
Ist das nun die touristische Zukunft für Bergsteiger im Kanton Graubünden? Gewisse Touren müssen geradezu sicherheitshalber gesperrt werden. Den Berggängern steht es schliesslich frei, ins benachbarte Tirol oder in die Steiermark auszuweichen, wo weder Wolf noch Bär angesiedelt werden und wo keine Schutzhunde die Touristen vertreiben.
Die Widersprüche dieser Ansiedlungspolitik sind doch offensichtlich: Raubtiere sollen wieder unsere Gebiete bereichern, doch vor ihren Aktivitäten müssen Mensch und Tier durch Schutzhunde geschützt werden, die ihrerseits aggressiv sind, ja sogar sein müssen – und für diese ganze Unternehmung werden jährlich zwei Millionen Franken aufgewendet, und dies in unserer vom Sparzwang geprägten Zeit.

Lia Stirnimann, Tamins


Quelle
http://www.suedostschweiz.ch

Wichtige Hyperlinks
http://www.wuff-online.com....php?t=20213

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