Vielleicht machten wir im Sommer aber auch zu viel
Hugues Ansermoz hat es im Moment nicht leicht. Der Frauen-Cheftrainer erklärt, weshab den Schweizer Speed-Fahrerinnen die Resultate fehlen, äussert sich zu Lara Gut und verrät, weshalb er zu Hause keine Ruhe findet.
Mit Hugues Ansermoz sprach Jürg Sigel
Hugues Ansermoz, wie viele Tage verbrachten Sie seit dem Jahreswechsel zu Hause?
Hugues Ansermoz: Zwei, zuletzt einen am Montag nach den Rennen in St. Moritz.
Da blieb Ihnen wenig Zeit, sich etwas auszuruhen.
Ansermoz: Was heisst ausruhen? Das Au-pair-Mädchen hatte frei.
Das bedeutet?
Am Montagmorgen musste ich mit meinen Kindern zuerst zum Arzt, dann hatte ich mich um eine Steuerangelegenheit zu kümmern. Als Erholung kann man dies nicht bezeichnen (lacht). Das war schon an Weihnachten so. Drei Tage verbrachte ich zu Hause. Danach war ich völlig kaputt (lacht erneut). Erst nach meiner Rückkehr in den Weltcup konnte ich in den Hotels wieder richtig schlafen. Meine drei Töchter, die eine ist zweieinhalb Jahre alt, die Zwillinge vier Monate, halten mich ganz schön auf Trab.
Hat das nicht den Vorteil, dass Sie dadurch zu Hause wenigstens für ein paar Stunden den Skirennsport vergessen können?
Ansermoz: Ich versuche jeweils abzuschalten, allerdings gelingt mir dies selten. Als Cheftrainer der Swiss-Ski-Frauen gibt es immer Arbeit.
Vor allem, wenn die Resultate in den Speed-Disziplinen nicht den Erwartungen entsprechen?
Ansermoz: Das ist richtig.
«Martina Schild fehlt das Selbstvertrauen.»
Anfang Dezember sagten Sie noch: «Wir sind auf dem richtigen Weg.» Kam diese Aussage demnach zu früh?
Ansermoz: Damals, in jener frühen Saisonphase, war ich zufrieden. Dank Martina Schilds Super-G-Sieg in Lake Louise hatten wir einen Podestplatz erreicht. Wir waren dort, wo wir sein wollten. Alles schien zu passen.
Dann aber folgte ein Stillstand, oder ein Rückschritt. Was lief schief?
Ansermoz: Sicher gilt es die vielen Ausfälle zu erwähnen. Verrückt ist, dass die kleinste Verletzung zum grössten Problemfall wurde.
Martina Schilds Knieverletzung?
Ansermoz: Ja. Seit sich Schild kurz vor Weihnachten verletzte, ist sie eine andere Person. Obwohl sie nicht lange pausieren musste, fehlt ihr jetzt das Selbstvertrauen. Sie kann diese Verletzung einfach nicht verarbeiten. Das ist bei den kurzen Pausen zwischen den Rennen während der Saison auch schwierig. Es fehlt schlicht die Zeit.
Sind die Probleme bei Dominique Gisin ähnlich?
Ansermoz: Bei ihr ist es so, dass sie physisch nicht mehr dieselbe ist. Gisin hat Mühe auf den Ski. Das hängt weitgehend damit zusammen, dass sie an Gewicht verlor. Zu viel. Es wartet auf uns Trainer viel Arbeit, um Gisin wieder dorthin zu führen, wo sie einmal war.
Das gilt wohl auch für Sylviane Berthod?
Ansermoz: Nach ihrer Rückenoperation im letzten Sommer fehlt ihr der Mut zum Risiko. Sie hat Angst.
Es gibt noch weitere Speed-Fahrerinnen, die nicht auf Touren kommen. Carmen Casanova beispielsweise hat noch keinen einzigen Weltcup-Punkt. Was wird mit ihr Ende Saison geschehen? Erhält sie nochmals eine Chance?
Ansermoz: Dazu kann ich mich noch nicht äussern. Die Situation ist die, dass wir jetzt schon zu kleine Kader haben. Einerseits sind da ältere Athletinnen wie Catherine Borghi, Sylviane Berthod oder eben Carmen Casanova, deren Resultate nicht stimmen. Andererseits sind von den Jungen noch nicht alle bereit für den Weltcup.
Das gilt nicht für Lara Gut, die am letzten Wochenende in St. Moritz in der Abfahrt Dritte und im Super-G Fünfte wurde. Erwarten Sie, dass dank der sensationellen Resultate der 16-Jährigen nun ein Ruck durchs Speed-Team geht?
Ansermoz: Das ist zu hoffen. Jetzt müssen Fahrerinnen wie Fränzi Aufdenblatten und Nadia Styger, aber ebenso Martina Schild, zeigen, dass sie Gleiches zu leisten im Stande sind.
«Lara und Paul Gut, das ist ein Spezialfall.»
Aufdenblatten und Styger: Sie sprechen die nächsten Problemfälle an.
Ansermoz: Dass sie es könnten, wissen wir ja. Aufdenblatten war schon sehr nahe am Podest, aber eben nur nahe. Inzwischen studiert sie manchmal zu viel. Und Stygers Leistungen sind zu unkonstant.
Zurück zu Lara Gut. Die Tessinerin wird noch durch ihren Vater Paul betreut, geniesst sozusagen eine Sonderstellung bei Swiss-Ski, was jedoch nicht die Zukunft sein kann. Haben Sie schon konkrete Vorstellungen, wie es mit dem Juwel weitergeht?
Ansermoz: Das werden wir Ende Saison in Ruhe diskutieren. Paul Gut ist ein Supertyp. Deshalb wurde er auch von Swiss-Ski akkreditiert, damit er an den Rennen stets bei seiner Tochter sein kann. Lara und Paul Gut, das ist ein Spezialfall ...
... aber nur eine Übergangslösung?
Ansermoz: Ja. Lara Gut wird auf Dauer keinen Sonderzug fahren können. Das würde innerhalb des Teams Unruhe aufkommen lassen.
«Für Tamara Wolf gibt es einen Zweijahresplan.»
Sind damit die nächsten Probleme vorprogrammiert?
Ansermoz: Wenn das Probleme sind, dann sind es schöne. Solche, die jedes Land haben möchte. Talente wie Lara Gut gibt es im alpinen Skirennsport nicht viele. Das Richtige zu tun, die Ideallösung zu finden, wird sicher nicht einfach. Wichtig wird sein, Lara Gut nun behutsam weiter aufzubauen und nichts zu forcieren.
Aufbauen werden Sie und Ihre Trainerkollegen auch Tamara Wolf müssen, wenn diese wahrscheinlich im Sommer das Training wieder aufnimmt.
Ansermoz: Da wartet ebenfalls viel Arbeit auf uns, das stimmt.
Wolf war schon so oft verletzt. Da drängt sich die Frage auf, ob die Engadinerin inskünftig nicht besser in den technischen Disziplinen starten sollte. Wie denken Sie darüber?
Ansermoz: Es ist tatsächlich vorgesehen, sie vorerst einen Winter, even- tuell im Europacup, im Riesenslalom aufzubauen und starten zu lassen. Erst dann wird allenfalls die Rückkehr zu den Speed-Disziplinen erfolgen. Der Aufbau muss ohne jeglichen Druck erfolgen. Für Tamara Wolf gibt es einen Zweijahresplan.
Das Frauen-Team von Swiss-Ski hat derzeit zwei Podestplätze. Ist die Annahme richtig, dass nächste Saison, im WM-Winter, eine ähnliche Ausbeute zum selben Zeitpunkt nicht genügen würde?
Ansermoz: Das ist ganz klar. Ich denke aber, dass wir ein gutes Team zusammenhaben werden, das ausser im Riesenslalom überall Spitzenresultate erreichen kann. Regelmässige Top-5-Plätze werden wir benötigen. Nur so können wir mit Medaillenchancen an die WM nach Val d'Isère reisen. Dies wiederum bedingt, dass wir im Frühjahr genau analysieren, weshalb in dieser Saison der Dezember-Schwung verloren ging.
Das letzte Sommertraining kann nicht der Grund dafür gewesen sein. Dieses war sehr gut, wie man hörte ...
Ansermoz: Ja schon (kurze Pause). Vielleicht machten wir im Sommer aber auch zu viel. Vielleicht schlich sich deshalb schon in der frühen Saisonphase eine gewisse Müdigkeit ein. Herauszufinden, ob der Trainingsaufwand in der Vorbereitung tatsächlich zu gross war, wird Teil der Analyse sein.
Quelle
http://www.suedostschweiz.ch
< zurück
[Seite Drucken]