„Einfach perfekt für Marathon“


Haile Gebrselassie über seinen Start und die Strecke in Berlin, den Weltrekord und seinen Laufstil

Herr Gebrselassie, am nächsten Sonntag starten Sie beim Berlin-Marathon. Der Marathon-Weltrekord sei wie eine Krönung, haben Sie einmal gesagt, fühlen Sie sich also als ungekrönter König?

Auf jeden Fall. Mein größtes Ziel ist es, den Weltrekord im Marathon zu brechen oder eine olympische Goldmedaille im Marathon zu gewinnen. Am besten beides.

Was würde Ihnen mehr bedeuten?

Eigentlich bedeutet mir beides gleich viel, aber den olympischen Marathon zu gewinnen, ist vielleicht noch ein ganz kleines bisschen größer als der Weltrekord.

Warum ist der Marathon nach zwei Olympiasiegen und vielen Weltrekorden noch eine Steigerung für Sie?

Es ist die Königsstrecke des Laufens. Gerade für mein Land Äthiopien hat der Marathon besonders Bedeutung, eine ganze andere als die 10 000 Meter. Er hat große Tradition, seitdem Abebe Bikila in Rom 1960 barfuß Gold gewonnen hat. Die Leute nehmen eine Goldmedaille in Äthiopien im Marathon so an, als wenn sie sie selbst gewonnen hätten.

Also haben Sie schon lange gewusst, dass Ihre Karriere mit dem Marathon weitergeht?

Auf jeden Fall. Ich habe immer vorgehabt, den Marathon zu laufen, bevor ich meine Karriere beende. Vielleicht gibt es einen Zeitpunkt, um mit den Wettkämpfen aufzuhören. Aber es gibt keinen Zeitpunkt, um mit dem Laufen aufzuhören. Manchmal genieße ich das Laufen einfach für sich. Auch siebzig oder achtzig Jahre alte Menschen können noch Marathon laufen. So möchte ich es auch machen. Ich möchte mir das Laufen bewahren.

Sie haben schon angekündigt, den Weltrekord im Marathon zu brechen, haben es aber nicht geschafft. Haben Sie es sich vielleicht zu leicht vorgestellt?

Ich glaube nicht, dass es so schwierig ist, den Weltrekord zu brechen. Was passiert denn beim Marathon? Man fängt langsam an zu laufen, und dann kann man auf der Strecke ein bisschen Tempo machen, entweder in der Mitte des Rennens, am Ende oder wo auch immer. Es ist nur eine Frage des Trainings. Wenn ich gut trainiere, klappt es. Es wird irgendwann passieren.

Ist es leichter, einen Weltrekord auf der Bahn zu brechen, sagen wir über zehn Kilometer, als den auf der Straße im Marathon?

Über zehn Kilometer kann ich behaupten, dass man es schaffen kann, weil ich es geschafft habe. Im Marathon habe ich es noch nicht geschafft. Also wie kann ich nun sagen, dass es einfach ist? Vielleicht deswegen: Als ich noch auf der Bahn gelaufen bin, hatte ich viele Probleme mit meinem Körper mit Verletzungen. Zurzeit fühlt er sich einfach wunderbar an.

Aber Sie haben sich von Ihrem letzten Marathon im April in London sicher mehr erhofft, als am Ende Neunter zu werden?

Als ich in London gelaufen bin, war ich wirklich in guter Form. Ich war in perfekter Form. Mein einziges Problem war das Wetter. Es hat geregnet. Als ich morgens vor dem Rennen gefrühstückt habe, wusste ich, dass das Rennen schon gelaufen war. Ich habe zu einem Teamkollegen gesagt: Heute ist es unmöglich. Sehen Sie, ich laufe so: (tippt mit seiner Hand auf den Tisch). Da kommt es auf die richtige Balance an. Die meisten anderen laufen dagegen so (rollt die ganze Hand auf dem Tisch ab). Da ist die Balance nicht so wichtig. Das ideale Wetter ist für mich ein trockener Untergrund. Da rutsche ich nicht weg.

Bereitet Ihnen das Training auf dem harten Untergrund, auf der Straße keine Schwierigkeiten?

Bisher nicht.

Wie viel trainieren Sie auf der Straße und wie viel auf weicherem Untergrund?

Ich würde sagen fifty-fifty.

Bisher hält Paul Tergat den Weltrekord, aufgestellt hat er ihn 2003 in Berlin. Was hat ihn Ihrer Meinung nach so schnell gemacht?

Einfach seine Stärke. Und er hatte eine perfekte Vorbereitung. Er war von Anfang an ein guter Straßenläufer. Er hatte viel Erfahrung, auch beim Halbmarathon. Er konnte gut Halbmarathon laufen. Ich dagegen bin nicht viele Halbmarathons gelaufen. Vor 2001 bin ich im Jahr höchstens ein- oder zweimal bei Straßenrennen mitgelaufen, ansonsten nur auf der Bahn. 2001 bin ich meinen ersten Halbmarathon gelaufen. Tergat ist auch ein sehr guter Crossläufer, und wer ein guter Crossläufer ist, kann auch gut Marathon laufen.

Warum?

Es ist eine Frage der Technik und des Laufstils. Ich habe ja schon gesagt, dass mein Stil ein bisschen wie ein Ball ist, der auf den Boden tippt. Ich rolle den Fuß nicht ab. Paul läuft ähnlich, aber ein bisschen anders. Dazu kommt, dass er vier Jahre älter ist als ich. Seine Knochen sind stärker als meine. Bis zu einem gewissen Alter ist es so: Je älter man ist, desto stärker sind die Knochen. Es war glaube ich sein fünfter oder sechster Marathon, ich bin bisher drei gelaufen.

Wie wichtig ist Lauferfahrung für Sie beim Marathon?

Keine Frage, dass es unheimlich wichtig ist. Du weißt, wann Probleme anfangen, du kennst das Tempo. Als ich am Anfang Marathon gelaufen bin, habe ich mich gefragt: Warum laufen die nicht schneller?

Was wäre der perfekte Marathon für Sie?

Die Strecke muss sein wie in Berlin. Das Wetter darf nicht windig sein, und es darf auch nicht regnen. Regen und Wind sind ganz schlecht, die Temperatur sollte zwischen 12 und 16 Grad liegen. Und man braucht gute Tempomacher. Wenn ich von Tempomachern rede, meine ich nicht nur, wie weit sie dich bringen können. Die Frage ist, wie sie das Tempo halten können. Es kommt auf den Rhythmus an. Manche Tempomacher ziehen dich, dann werden sie wieder langsamer, dann ziehen sie dich wieder. Das ist nicht gut.

Sie haben in Berlin wahrscheinlich vier Tempomacher, zwei stellt der Veranstalter und zwei bringen Sie selber mit.

Richtig, aber entscheidend ist nicht die Zahl, sondern was sie tun.

Was wissen Sie von der Strecke in Berlin?

Seit Ronaldo Da Costa hier 1998 Weltrekord gelaufen ist, habe ich mich gefragt, was das hier in Berlin für eine Strecke ist. Andere Athleten haben mir gesagt: Es ist unglaublich, wie gut die Strecke ist: so flach, die Oberfläche so gleichmäßig, nicht so viel Kopfsteinpflaster, einfach perfekt für Marathon.

Wie stellen Sie sich den Tag in Berlin vor?

Tolles Wetter, tolles Publikum. Ich glaube, wenn ich vorher sagen würde: kommt nicht an die Strecke, um uns zu unterstützen, kommen die Leute trotzdem. Irgendwie scheinen mich die Leute in Deutschland zu mögen. 90 Prozent der Autogrammwünsche an mich kommen aus Deutschland.

Haben Sie eine Idee, warum?

Das frage ich mich auch oft. Immer wenn ich irgendwo in eine deutsche Botschaft gehe und ein Visum beantrage, fragen die Botschaftsangestellten gleich, ob ich einen Tee trinken möchte. Ganz egal, ob sie erst seit kurzem dort arbeiten oder schon länger. Sie behandeln mich nie wie jemanden, der einfach nur ein Visum beantragen möchte.

Ist Ihre Vorbereitung auf diesen Marathon vergleichbar mit der für den London-Marathon im April?

Es ist sehr ähnlich. Vielleicht mit einem kleinen Unterschied: Jetzt bin ich gerade dabei, in meinen Trainingseinheiten am Ende ein bisschen schneller zu werden. Wenn ich zwei Stunden trainiere, dann laufe ich die letzte halbe Stunde ein bisschen schneller, wenn ich drei Stunden trainiere, die letzten vierzig Minuten. Beim Marathon muss man eben am Ende noch ein bisschen zulegen.

Haben Sie sich für Berlin eine Zeit vorgenommen oder eine bestimmte Platzierung?

Mein Ziel ist erst einmal, den Wettkampf zu bestreiten. Ich muss sehen, was im Rennen passiert. Es wird auf jeden Fall ein schönes Rennen. Immerhin ist auch der zweitschnellste Marathonläufer überhaupt mit am Start, Sammy Korir aus Kenia.

Haben Sie bei Ihren bisher drei Marathons einen strategischen Fehler gemacht?

Der einzige Fehler bei meinem ersten Marathon war nur, dass ich nicht wusste, wie Marathon ist. Auf den letzten zwei Kilometern war ich sozusagen der Tempomacher für Khalid Khannouchi und Paul Tergat. Das war mein Fehler. Ich hätte einfach hinter ihnen bleiben sollen.

Wenn Sie gerade in diesen Tagen Athleten sehr schnell rennen sehen, werden Sie dann misstrauisch? Glauben Sie noch, dass es eine saubere Leistung ist?

Es ist manchmal schwer in diesen Tagen. Wenn wieder ein Athlet erwischt wurde, sagen die Leute: Es ist doch immer das Gleiche. Was ich wichtig finde, ist, die unschuldigen Athleten herauszufiltern und zu unterstützen.

In der Leichtathletik ist beispielsweise der 100-Meter-Lauf stark dopingverseucht. Spielt Doping auf der Langstrecke eine genauso große Rolle?

Es ist nicht nur eine Sache der Sprinter. Und wenn man über Doping spricht, muss man auch herausfinden, warum ein Athlet es genommen hat. Kam es über seinen Trainer? Oder hat es ihm sein Arzt ohne sein Wissen gegeben? Ich kannte einen Athleten, der wurde positiv auf Ephedrin getestet. Sein Arzt hatte ihm etwas gegeben. Er selbst wusste gar nichts über Doping. Das Zeug kam einfach nicht von ihm. Diese Wahrheit sollte man erst herausfinden, dann kann man auch den Namen des Athleten an die Öffentlichkeit geben. Dann soll der Athlet sich erklären. Warum hat er es getan? Um seine Freunde zu betrügen, das Publikum und sein Land, die anderen Athleten? Man kann die Welt betrügen, aber nicht sich selbst. Das ist das Entscheidende. Am Ende der Karriere fängt man sonst an zu grübeln: Warum habe ich das nur genommen? Der Athlet kann dann nicht mehr stolz sein auf seine Erfolge.

Wissen Sie wirklich, dass auch Ihr Umfeld sauber ist, also Ihr Manager, Ihre Trainer?

Soweit ich es weiß, sind alle Leute, die um mich herum sind, sauber. Ich vertraue ihnen. Und wichtig ist, dass sie sich selbst und gegenseitig vertrauen.

Was denken Sie über Dieter Baumann? Er war ein harter Gegner für Sie, und in Deutschland waren viele schockiert, als er positiv getestet wurde.

Das ist einer der Fälle, die ich nicht akzeptiere. Es ist passiert am Ende seiner Karriere. Warum nicht vorher? Er ist Olympiasieger ohne Doping geworden. Haben sie ihn vorher gedeckt? Das glaube ich nicht. Baumann ist ein starker Athlet. Ich kenne ihn sehr gut. Es gilt einfach allgemein: Wir müssen bei Dopingfällen die Wahrheit herausfinden.

Das Gespräch führte Friedhard Teuffel.

Quelle
http://www.tagesspiegel.de


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