Jeder Phonak-Star betrog


zuletzt Landis - Chronik aus einem zwiespältigen Milieu

    
Von Benjamin Steffen

Reicher Mann, grosser Fan. Seit dem Jahr 2000 ist der Zürcher Andreas Rihs Teil des Velo-Zirkus. Mit dem Glauben an Fairness und Sauberkeit tappte der Produzent von Hörgeräten in die unbekannte Welt. Und erfuhr, was im Radsport der rasch vergängliche Erfolg kosten kann: die Glaubwürdigkeit. Rihs pries sie und verirrte sich in Dopingfällen und Unglaubwürdigkeit. Er vertraute den Stars und bestrafte die Wasserträger. Er wollte keine Idioten und verpflichtete Betrüger. Er entliess die kleinen Fahrer und kämpfte für die grossen. Andreas Rihs erlebte das Schicksal eines blind Liebenden, der den Idealen, die er ehedem gepflegt hatte, nicht treu blieb. Eine fast unendliche Geschichte von guten Vorsätzen und verhängnisvollen Entscheiden.

2000. Als Werbeplattform für seine Phonak-Hörgeräte lanciert Rihs ein Zweitdivisions-Team mit 13 Profis. Kosten: 2,5 Millionen Franken. Der Saisonstart erfolgt am 26. Januar an der Langkawi-Rundfahrt in Malaysia. Im September tappt erstmals ein Phonak-Fahrer in die Doping-Falle. Dem Österreicher Jochen Summer wird Phentermin nachgewiesen. Rihs entlässt ihn.

2001. Rihs träumt von der Tour de France. Der Traum ist der erste Schritt in den Teufelskreis. Anfang Juni verpflichtet Rihs den Glarner Urs Freuler als Manager. Was Rihs weiss: Freuler war Anfang der neunziger Jahre zweimal positiv auf Doping getestet worden - auch Phonak unterwirft sich dem Re-Cycling des Radsports, das oft Doping-belastete Fahrer auf verantwortungsvolle Posten hievt. Als Sportlichen Leiter engagiert Rihs den Spanier Alvaro Pino. Was Rihs noch nicht weiss: Pino bringt ihm den Blutmischer Eufemiano Fuentes ins Haus.

Jedem, der hören will, predigt Rihs sauberen Radsport. Wenn einer seiner Fahrer dope, werde dieser umgehend entlassen. Rihs sagt, er habe sich anders verhalten als die Verantwortlichen des deutschen Teams Coast, die Roland Meier nach dessen positiver A-Probe verteidigten. «So human die Haltung sein mag - zu Glaubwürdigkeit trägt sie nicht bei.»

Im September verzichtet Phonak auf das Engagement des Schweizers Sven Montgomery, der gewünscht hatte, Phonak möge auch Stefan Rütimann verpflichten. Dieser ist am 1. Mai 2001 positiv getestet worden. Rütimann bestreitet die Schuld, «doch können wir ihn unter keinen Umständen unter Vertrag nehmen, wenn wir uns treu bleiben wollen», sagt Rihs. Rütimann wird später ein zweites Mal erwischt und tritt zurück. Woher hatten Sie die Dopingmittel, Herr Rütimann? «Kein Kommentar. Es geht um kriminelle Handlungen, die Leute ins Gefängnis bringen könnten.»

Aus menschlicher Optik


2002. Rihs geht mit seiner Botschaft in die Offensive. Er will andere Teams überzeugen, keinem des Dopings überführten Athleten eine zweite Chance zu geben. «Die Sponsoren dürfen den Kampf gegen Doping nicht nur den Verbänden überlassen. Wir können den grössten Druck ausüben, denn wir gewährleisten die Finanzierung des Radsports.» Er habe keine Lust, Idioten zu engagieren, die dem Radsport schadeten, sagt Rihs. Am 15. August bleibt Matthias Buxhofer in einer Dopingkontrolle hängen. Rihs entlässt ihn.

2003. Anfang Jahr stellt Rihs die gelebte Überzeugung zur Schau, Phonak erhalte eine Wild Card zur Teilnahme an der Tour de France. Das Budget beträgt inzwischen 12 Millionen Franken. - Im Februar gesteht Reto Bergmann, er habe Dopingmittel ins Trainingslager mitgenommen. Rihs entlässt ihn. Bergmann äussert sich nur vage und sagt, vor zwei Jahren habe er nicht damit gerechnet, dereinst an diesem Punkt anzukommen. Woher hatten Sie die Dopingmittel? «Kein Kommentar.»

Weil Coast konkursit scheint, eröffnet sich Phonak im März die Chance, den ehemaligen Tour-Zweiten Alex Zülle unter Vertrag zu nehmen. Dieser gestand 1998 im Zug des Festina-Skandals regelmässigen EPO-Konsum. Darf Zülle für Phonak zum Thema werden? Rihs' Antwort: «Es kommt darauf an, wie dogmatisch man die Sache anschaut.» Phonak begegnet der Problematik pragmatisch und engagiert Zülle. Freuler verteidigt sich im besten Radsport-Vokabular und sagt, Zülle sei nie positiv getestet worden, sondern habe nur ein Geständnis abgelegt. Rihs versucht gar nicht, Zülle reinzuwaschen, und nennt ihn einen «Sonderfall». Es ist der nächste Schritt in den Teufelskreis. Rihs sagt, er schaue aus der menschlichen Optik und erachte Zülle als Persönlichkeit. Und der Verstoss gegen das Anti-Doping-Credo? «Das nehme ich auf meine Kappe, Zülles Transfer ist eine Ausnahme.» Und auch ein Schachzug, um den Tour-Veranstaltern im Kampf um die Wild Cards zu imponieren. - Im Mai gehen die freien Tour-Plätze an drei französische und eine baskische Equipe.

2004. Alle Macht der Tour. Rihs lässt das Team nicht mehr unter Marketingaspekten zusammenstellen, sondern mit primär sportlichen Ambitionen und dem Ziel «Tour de France». Er verpflichtet Tyler Hamilton, den Tour- Vierten 2003. Der Amerikaner wächst ihm ans Herz. Hamilton besitze «eine starke soziale Ader», sagt Rihs. Die Tour-Tür geht auf, doch der Captain muss verletzt aufgeben. Rihs sagt: «Hamilton kann die Tour 2005 gewinnen.»

Die Hand im Feuer


Im August 2004 wird Oscar Camenzind des EPO-Dopings überführt. Rihs müsste erstmals einen «grossen» Namen entlassen - er wird aber nicht auf die Probe gestellt, weil Camenzind das Vergehen zugibt und zurücktritt. Woher hatten Sie die Dopingmittel? «Kein Kommentar.» Die Rad-Familie verstösst Camenzind freilich nicht. Er darf an der Tour de Suisse VIP chauffieren.

Im September wird Hamilton Blutdoping nachgewiesen. Fuentes, der Kollege Pinos, soll als Experte gedient haben. Hamilton gesteht im Gegensatz zu Camenzind nicht und prüft somit Rihs. Dieser tappt in die Falle. Mitten in den Teufelskreis. Rihs, der einst Summer, Buxhofer und Bergmann entlassen und Rütimann keine Chance gegeben hat, sagt: «Für Hamilton lege ich die Hand ins Feuer.» Ins Fegefeuer. Rihs finanziert eine Expertengruppe, die das Nachweisverfahren als fehlerhaft entlarven soll. Vergeblich.

Im Herbst wird bekannt, Santi Perez sei an der Vuelta a España auch mit Hilfe von Blutdoping und Fuentes Zweiter geworden. Ende November verweigert der Weltverband UCI Phonak die Aufnahme in die neu gegründete, prestigeträchtige ProTour. Gründe: die jüngsten Dopingfälle und die Uneinsichtigkeit des Managements. Rihs scheint die Lust zu vergehen: «Ich kann auch ohne Radteam Velo fahren.»

2005. Rihs will mit neuer Crew Velo fahren. Er entlässt Freuler und Pino, engagiert John Lelangue und Juan Fernandez. Im Februar entscheidet das internationale Sportschiedsgericht, Phonak dürfe an der ProTour teilnehmen. Lelangue will eine harte Hand demonstrieren und sanktioniert Fahrer mit verdächtigen Blutwerten (Nose, Gonzalez). - Hamilton gewinnt die Tour de France nicht. Er ist gesperrt.

2006. Zu Jahresbeginn wird Sascha Urweider positiv auf Testosteron getestet. Rihs entlässt ihn, Urweider tritt zurück. Woher hatten Sie die Dopingmittel? «Kein Kommentar.» Ende Juli lässt Vater Urweider ausrichten, sein Sohn wolle mit dem Metier nichts mehr zu tun haben. - Im Juni präsentiert der Teambesitzer Rihs den amerikanischen Fondsverwalter iShares als Phonak-Nachfolger und Hauptsponsor ab 2007. Als die Gebrüder Gutierrez und Santiago Botero im Kundenkreis Fuentes' vermutet werden, streicht Phonak die drei sofort aus dem Tour- Aufgebot. «Der Captain Floyd Landis unterstützt die Suspendierung», meint Rihs. «Er will die Tour mit einem sauberen Team fahren.»

Am 19. Juli sagt Rihs, «solange es im Radsport um so viel Geld geht, ist Medizin drin». Und: «Klar, ich kann morgen wieder einen Dopingfall haben.» Den hat er. Am 20. Juli gewinnt Landis imposant die Etappe nach Morzine, drei Tage später die Tour. Unsauber. In Morzine hat er eine positive Dopingprobe (Testosteron) hinterlassen. Woher hatten Sie die Dopingmittel? «Welche Dopingmittel?» Landis gesteht nicht. Nach dem positiven B-Test entlässt ihn Rihs am 5. August.

Die Manager von iShares überlegen, ob sie das Hauptsponsoring antreten wollen. Rihs geht in Klausur. Der 63-Jährige kann auch ohne Radteam Velo fahren. Doch es kommt darauf an, wie dogmatisch er die Sache anschaut.

Quelle
http://www.nzz.ch


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