«Google Print wird nur Gewinner und keine Verlierer haben»


Urs Hölzle von Google erläutert das umstrittene Projekt einer Web-Bibliothek

Am 3. November 2005 eröffnete Google trotz Kritik von verschiedener Seite seine Web-Bibliothek Google Print. Das Projekt, das die Vereinigung amerikanischer Verleger (AAP) mit einer Gerichtsklage wegen Verletzung von Urheberrechten bekämpft, beabsichtigt die Digitalisierung ganzer Bibliotheksbestände. Der Schweizer Urs Hölzle, Vizepräsident und oberster Verantwortlicher von Google Print, erläutert das Projekt. 
 
Seit dem Börsengang von Google überschlagen sich die Nachrichten über Googles neue Angebote. Diese Projekte werden jedoch später oft modifiziert. Plant Google kurz- oder langfristig?

Urs Hölzle: Das hängt vom Produkt ab. Grössere Projekte befinden sich mehrere Jahre in der Planung, bevor sie der Öffentlichkeit vorgestellt werden, kleinere Projekte mehrere Monate oder sogar nur zwei Wochen. Gewisse Google-Projekte haben bewusst Experimentiercharakter, weil wir in den Anfangsstadien gar nicht wissen können, ob sie in Realität so funktionieren, wie wir uns das vorstellen. Wir sind deshalb darauf angewiesen, sie nach den Bedürfnissen der Benutzer modifizieren zu können.

Welchen Planungshorizont gab es beim Projekt Google Print?

Google Print, die Web-Bibliothek, befand sich zwei bis drei Jahre in der Entwicklung, bevor wir damit an die Öffentlichkeit traten. Es ist nicht so einfach, Bücher zu digitalisieren, ohne dabei das Buch zu zerstören. Die Suche nach der Technik, die gleichzeitig effizient, kostengünstig und präzise war, verlangte viel Zeit. Es wird Jahre dauern, bis nur schon alle Bücher der fünf Bibliotheken Stanford, Michigan, Oxford, New York Public Library und Harvard digitalisiert sind, die initial ins Projekt eingebunden werden konnten. Viel Zeit in Anspruch nehmen auch rechtliche Abklärungen in den einzelnen Ländern, die Google Print anbieten wollen. Copyright-Gesetze sind in jedem Land unterschiedlich.

Google wird von den Medien angeprangert, seine Planung nicht offenzulegen und Geheimniskrämerei zu betreiben. Hatten die Gründer, als sie die Firma im Jahr 1998 aus der Taufe hoben, ein umfassendes Google-Konzept, oder bestanden lediglich ein paar lose Ideen?

Eine Kombination von beidem ist der Fall. Einige Projekte sind miteinander verzahnt, andere laufen auf ihrem eigenen Gleis. Es gibt ein Google-Gesamtkonzept, das aber laufend modifiziert wird. Jedes Projekt hat seinen eigenen Entwicklungscharakter, den wir aufgrund unseres ausgesprochen dynamischen, oft unberechenbaren Betätigungsfeldes, des Internets, gar nicht im Detail voraussehen können. Entsprechend wird sich unser E-Mail-Angebot, Gmail, in den kommenden Jahren verändern. Google Print hingegen wird voraussichtlich auch in acht oder zehn Jahren noch dieselbe Ausrichtung haben. Zur Geheimniskrämerei nur so viel: Gibt Coca-Cola sein Rezept für Diet-Coke bekannt? Wohl kaum.

Der Vergleich mit dem Getränk hinkt, denn der Kunde weiss nach dessen Degustation, ob er Diet- Coke mag oder nicht. Gibt er hingegen einen Suchbegriff bei Google ein, erhält er Tausende von Resultaten in einer Reihenfolge, deren Logik sich ihm entzieht.

Dahinter steckt keine höhere Absicht, die von Google gesteuert werden kann. Die Suchmaschine hat selbstverständlich keine Intelligenz, sondern ist lediglich ein Programm, also eines unserer Projekte, das von uns laufend verbessert wird. Ungefähr 100 verschiedene Faktoren entscheiden darüber, weshalb nach einer Suche ein bestimmtes Resultat zuoberst auf der Liste erscheint. Die Reihenfolge der Resultate entspricht einer Art von Kompromiss dieser Suchfaktoren.

Funktioniert das immer gleich gut?

Nein. Das berühmteste Beispiel einer Frage, die vom Computer «falsch verstanden» wurde, ist die Google-Suche nach «miserable failure». Als Antwort kommt seit längerem zuoberst auf der Liste die Website des Weissen Hauses mit der Biografie von Präsident Bush. Dies deshalb, weil Michael Moore und Dick Gephardt beide mehrmals die Präsidentschaft von Bush als «miserable failure» bezeichnet hatten. Das Resultat widerspiegelt also nichts anderes als das, was auf dem Internet zu diesem Suchbegriff prioritär publiziert wurde.

Weshalb ist das Google-Management so zurückhaltend mit Informationen?

Ich denke nicht, dass wir dies wirklich sind, ausser wenn es um zukünftige Projekte geht. Wir legen bewusst keinen Fünf- oder Zehnjahresplan vor, weil wir wissen, dass dieser aufgrund der vorher erwähnten Dynamik des Internet-Geschäftsbereichs laufend modifiziert werden müsste. Wegen unseres Erfolgs ist Google zurzeit in aller Munde, und wir könnten die Neugierde der Medien wahrscheinlich mit der aufwendigsten Aufklärung nicht stillen. Anstelle von Presse- Communiqués publizieren wir die wichtigen Informationen zu unseren Produkten auf der Google-Website. Würden die Medien diese lesen, kämen viele Spekulationen gar nie auf.

In der Firma Google ist mittlerweile viel Macht konzentriert. Dies erzeugt Ängste bei der Konkurrenz, aber auch bei vielen privaten Benutzern.

Dies sind zwei verschiedene Dinge. Konkurrenz zu haben, ist normal, und jede Firma muss damit leben können. Wenn die Benutzer Angst haben vor Googles Übermacht, tönt dies für mich beinahe, als verwechsle man uns mit einem Medienmogul, der alle Zeitungen und Fernsehprogramme an sich reisst, oder mit einer Firma, die in ihrer Branche eine Monopolstellung einnimmt. Google tut weder das eine noch das andere. Als Suchmaschine sind wir zudem nur ein Medienvermittler, aber kein Medienerzeuger. Wie andere Firmen auch, wollen wir optimieren, damit die Leute ein möglichst gutes Suchresultat erhalten. Ist dies nicht mehr der Fall, gehen die Kunden nämlich zu einer andern Suchmaschine.

Wünschten Sie sich, die Kritiker würden Google Print etwas differenzierter beurteilen?

Ja, das wäre wünschenswert. Es gab verschiedene Leute, die Artikel über Google Print verfassten, die die wahre Natur des Projekts falsch darstellten. So wurde immer wieder fälschlicherweise geschrieben, Google werde ganze Bücher, die noch dem Copyright unterliegen, digitalisieren und ins Netz stellen. Dasselbe behauptet die Association of American Publishers, die Google eingeklagt hat. Auf unserer Website ist eine Analyse des Juristen Jonathan Band zu finden, einem Spezialisten für geistiges Eigentum und für Urheberrechtsverletzung (siehe www.policybandwidth.com). In seiner Analyse über Google Print kommt Band zum Schluss, dass mit dem Projekt keine Urheberrechtsverletzungen begangen werden. Interessant ist auch ein Gerichtsentscheid aus dem Jahr 2003, Kelly contra Arriba Soft, dessen Tatbestände sich mit der Klage der US-Verleger gegen Google vergleichen lassen.

Worum genau ging es in dieser Klage?

Der Kläger Kelly, ein Fotograf, hatte die Internetfirma Arriba Soft eingeklagt, weil sich seine Website mit Fotos in der Datensammlung von Arriba Soft befand, ohne dass er der Firma mittels Vertrag die Erlaubnis dazu erteilt hatte. Kelly sagte, die Firma verletze Urheberrechte. Kelly verlor seine Klage, weil das Gericht zum Schluss kam, er erfahre durch die Publikation seiner Website nur Vorteile, denn die Web-Benutzer würden durch ihre Suche zu seinem Produkt geführt und könnten dieses dann bei ihm kaufen. Arriba Soft hingegen erwirtschafte durch die Publikation von Kellys Fotos keinen Gewinn.

Inwiefern lässt sich dieser Fall mit der Klage der US-Verleger gegen Google vergleichen?

Die Verleger erfahren durch Google Print nur Vorteile, denn die Web-Benutzer werden durch ihre Suche auf Bücher aufmerksam, von deren Existenz sie sonst gar nichts gewusst hätten. Entscheiden sie sich, ein Buch zu kaufen, verdient Google nichts daran. Google erstellt mittels Scanning ein Computerbild einiger weniger, unvollständiger Seiten eines noch urheberrechtlich geschützten Buches. Die Information über das Buch ist zu rudimentär, als dass sich wegen der Web- Suche ein Kauf des Buches erübrigen würde. Im Gegenteil. Google stellt dem Web-Benutzer auch gleich die Informationen zur Verfügung, wo das Buch gekauft oder ausgeliehen werden kann.

Will Google nur Bücher in englischer Sprache digitalisieren?

Nein. Diese Vermutung wurde in Europa verbreitet, obschon wir nie so etwas behaupteten. Irgendwo mussten wir mit diesem langfristigen Projekt ja starten. Es ist aber klar unser Ziel, möglichst weltweit alle Bücher, die uns zur Verfügung gestellt werden, in die Bibliothek zu integrieren.

Google Print erzeugte auch in Europa Aufruhr, wo es als «amerikanisches Kulturimperialismus- Projekt» ablehnende Reaktionen hervorrief.

Eigentlich verstehe ich die Heftigkeit der Kritik immer noch nicht genau. Wahrscheinlich denken viele Kritiker, die sich nicht informiert haben, wir stellten den Lesern ganze Bücher, die dem Copyright unterliegen, zur Verfügung. Lediglich Bücher ohne Urheberrechte werden auf Google Print in ihrer Gesamtlänge angeboten. Eines ist sicher: Google Print wird nur Gewinner und keine Verlierer haben. Verleger, Autoren, Bibliotheken und Leser, alle werden feststellen, dass sie von Google Print profitieren.

Wie kann das Potenzial von Google Print den Autoren und Verlagen klar gemacht werden?

Die bekannte Internet-Marktanalyse «Anatomy of the Long Tail» des Journalisten Chris Anderson, die vor einem Jahr in «Wired-Magazine» publiziert wurde, beweist, dass das Internet in der Lage ist, auch unbekannte Bücher, die in Buchläden nicht erhältlich sind, ins Bewusstsein der Web-Leser zu rücken. So sind erstaunlicherweise 57 Prozent aller Bücher, die Amazon verkauft, nur im Internet zu kaufen. Wer die Analyse von Anderson studiert hat, versteht das Potenzial von Google Print. Viele Autoren haben uns geschrieben, sie unterstützten die Klage von AAP nicht, denn sie ziele an ihren Interessen vorbei.

Der französische Präsident, Jacques Chirac, hat ein europäisches Digitalisierungsprojekt vorgeschlagen, Frankreichs oberster Bibliothekar, Jean-Noël Jeanneney, kritisierte, Google bemühe sich nicht um die Erhaltung des kulturellen Erbes nicht angelsächsischer Nationen. Was würden Sie Herrn Jeanneney antworten?

Ich würde ihm sagen, dass er ungenau informiert ist, und ihm eine Liste von Ländern zeigen, in welchen Google Print bereits angeboten wird, wo wir also erfolgreich Verhandlungen mit Bibliotheken geführt haben. In Europa sind es Italien, Deutschland, die Schweiz, Frankreich, Belgien, Spanien und die Niederlande. In diesen Ländern bieten wir auch das Google Print Publisher Program an. Es richtet sich an Verlage, die uns Bücher direkt, also physisch oder elektronisch, schicken, ohne dass eine Bibliothek involviert ist.

Interview: snu.


Quelle
http://www.nzz.ch

Wichtige Hyperlinks
http://print.google.ch/

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